KOOPERATION UND KOMPROMISS

Kooperation und Kompromiss.

Oder: Was ist eigentlich ein Kollektiv?

Experimente mit Unternehmens- und Arbeitsformen gibt es zuhauf: Start-Ups, Crowdfunding-Projekte, Solo-Selbstständige, Co-Working-Spaces ... Die Liste lässt sich fortsetzen. Was also ist das Besondere an Kollektiven?

„Dass es keinen Chef gibt“, sagt Michael von der Backstube.

„Und keine Chefin“, fügt Uschi vom Beratungskollektiv ProSys hinzu.

„Ich würde eher sagen: dass alle Chef sind“, widerspricht Lupo von der Regenbogenfabrik.

Dass alle Chef sind? „Die Regenbogenfabrik ist ein Projekt mit 80 Leuten. Hostel, Kita, Kino, Werkstatt, Café. Mit ‚alle sind Chef’ meine ich, dass wir die Verantwortung teilen und gemeinsam tragen. In unserer Arbeitsgemeinschaft ‚Geschäftsführung’ sind alle Bereiche vertreten.“

Okay. Weitere Vorschläge?

„Einheitslohn und gute Stimmung!“ Für Philipp vom Kurierkollektiv Fahrwerk ist dieser Punkt zentral: „Wir haben uns auch deshalb gegründet, weil wir eine bessere Arbeitsatmosphäre wollten. Weniger Gegeneinander, mehr miteinander.“

„Für mich ist wichtig“, sagt Uschi, „dass wir nicht nur ein Arbeitsprojekt sind, sondern eine Solidargemeinschaft. Dass wir uns gegenseitig unterstützen, auch jenseits der Arbeit. Im Kollektiv geht es um den Menschen insgesamt, nicht nur die Arbeitskraft von 8 bis 16 Uhr.“

„Das klingt alles sehr schön“, sagt Gabi vom Bioladen Kraut & Rüben. „Aber ich würde sagen, das beschreibt eher die Idealvorstellung eines Kollektivs. Nicht unbedingt die Realität.“

Damit wären wir bei einem zentralen Punkt: Anspruch und Realität. Kollektive beginnen mit einer Idee: dass Wirtschaft und Arbeitsleben anderen Prinzipien folgen sollten als den kapitalistischen Gesetzen von Konkurrenz und Profit. In den 1970ern wurden Kollektive als Alternative zum Kapitalismus verstanden; Kriterien waren zum Beispiel: Es gibt keine Eigentümerinnen, möglichst wenig Arbeitsteilung („Alle machen alles“), keinen Leistungslohn, sondern Lohn nach Bedarf, und über die Belange des Unternehmens entscheiden alle gemeinsam. Kollektivbetriebe sind nicht zuletzt die Konfrontation dieser Ideale mit der Realität. Ein Experiment. Und deshalb oft ein Kompromiss.

„Wir haben zwei Eigentümerinnen“, sagt Beate vom Buchladen zur schwankenden Weltkugel. „Aber auch wenn wir Anderen rechtlich gesehen Angestellte sind, entscheiden wir gemeinsam. Das finanzielle Risiko tragen streng genommen trotzdem die beiden Eigentümerinnen. Eigentlich finden wir, dass das in Kollektiven anders sein sollte.“ Ein zweiter wichtiger Punkt: Eine Rechtsform „Kollektiv“ gibt es nicht. Es gibt Vereine, GmbHs, Genossenschaften oder Gesellschaften bürgerlichen Rechts. „In gewisser Weise sind wir alle ‚Gesellschaften bürgerlichen Rechts’“, sagt Lupo, „denn diesem Recht sind wir unterworfen. Aber gerade deshalb haben wir unsere eigenen Vereinbarungen.“

Diese Vereinbarungen, die gemeinsam getroffen und gemeinsam verändert werden, sind der Kerngedanke kollektiver Projekte. Die Druckkollektiv Oktoberdruck hat sich hierfür eine ausgeklügelte Betriebsverfassung gegeben, andere – ein Berliner Club- und Partykollektiv zum Beispiel – entscheiden im Konsens. „Wirklich im Konsens? Mit allen?“, hakt Gabi vom Bioladen nach. „Ich würde schon sagen, dass wir den Anspruch einlösen“, antwortet Haiko. „Jedenfalls bei allen wichtigen Entscheidungen.“ „Bei Kraut & Rüben entscheiden die Aushilfen nicht mit. Das ginge nicht“, meint Gabi. „Und es gibt auch Leute, die gar nicht mitentscheiden wollen – aber trotzdem gern im Kollektiv angestellt sind.“ Das wiederum kann Michael von der Backstube bestätigen: „ Eigentlich geht das nicht, unser Grundsatz ist: Wer mitarbeitet, soll auch Verantwortung übernehmen. Aber in der Praxis kommt es trotzdem vor.“

Die unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnisse holen Kollektive also manchmal von ganz unerwarteter Seite ein. Anspruch und Realität eben.